Riskantes Erbe: Familiengeschichten geben wichtige Hinweise auf ein mögliches Krebserkrankungsrisiko

30 Prozent mehr Beratungsanfragen verzeichnet das Berliner Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, seit Angelina Jolie im Mai 2013 öffentlich über ihre prophylaktische Brust-OP und ihre geplante Eierstockentfernung berichtete. Auslöser für Jolies „Medical Choice“ ist ein Fehler in ihrem Erbgut: Jolie trägt das mutierte Brustkrebs-Gen BRCA1 in sich, was ihr Risiko für Brustkrebs auf über 80 Prozent und das für Eierstockkrebs auf etwa 60 Prozent erhöht. Normalerweise liegt das Brustkrebsrisiko für eine Frau bei zehn Prozent, das Risiko für Eierstockkrebs bei unter ein Prozent. Zur Hochrisikogruppe gehören Frauen, bei denen entweder eine Mutation an Genen wie BRCA1 oder BRCA2 nachgewiesen wurde, oder die aufgrund ihrer Familienanamnese ein rechnerisch hohes Erkrankungsrisiko haben.

Mastektomie oder intensivierte Früherkennung

Frauen mit einem derartigen Risikoprofil haben zwei Möglichkeiten: Entweder sie lassen vorsorglich das Gewebe entfernen, so wie Angelina Jolie. Oder sie wählen eine weniger radikale Lösung und nehmen die so genannte intensivierte Früherkennung wahr, also eine engmaschige Kontrolle aus klinischer Untersuchung, Ultraschall und MRT. Dadurch können die Ärzte den Krebs zwar nicht verhindern, aber so früh wie möglich erkennen und behandeln. „Bei Brustkrebs sind die Früherkennungsmöglichkeiten sehr gut“, sagt Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer, Vorstandsmitglied der Berliner Krebsgesellschaft. Weniger gut sehe es dagegen beim Eierstockkrebs aus. „Wir wissen, dass wir die Frühstadien eben oft nicht früh genug entdecken.“ Aus diesem Grund entscheiden sich offenbar auch mehr Frauen für eine Entfernung der Eierstöcke (Ovarektomie) als für eine Entfernung der Brüste (Mastektomie). Wie viele Frauen sich insgesamt in Deutschland einem prophylaktischen Eingriff unterziehen, weiß aber niemand so genau. Laut Dorothee Speiser, Expertin für familiären Brustkrebs der Charité, ziehen die meisten Frauen die intensivierte Früherkennung vor, zumindest so lange noch ein Kinderwunsch besteht.

In der Regel sind es die Frauen selbst, die über Auffälligkeiten in ihrer Familiengeschichte stolpern und sich dann an ihren Gynäkologen wenden. Das junge Erkrankungsalter einer nahen Verwandten, mehrere erkrankte Frauen in der Familie oder ein männlicher Verwandter mit Brustkrebs deuten auf eine abklärungsbedürftige Risikokonstellation hin, berichtet Prof. Dr. Denise Horn vom Institut für Medizinische Genetik der Charité. Auch eine bilaterale Erkrankung – also der Befall beider Brüste – sei ein typisches Merkmal für das Vorliegen von erblichem Brustkrebs.

Kassen zahlen genetische Tests nur, wenn sie medizinisch notwendig sind

Fehler im Erbgut spielen praktisch bei jeder Krebsart eine Rolle. Mittlerweile haben sich viele Darmkrebszentren auch auf erblichen Darmkrebs spezialisiert. Die häufigste Form ist das so genannte Lynch-Syndrom HNPCC (hereditary non polyposis colorectal cancer). „Beim Darmkrebs haben wir eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit und mit der Koloskopie eine sehr gute Früherkennungsmöglichkeit“, sagte PD Dr. Severin Daum vom interdisziplinären Darmkrebszentrum der Charité. Somit bestünden auch in Risikofamilien gute Chancen, den Krebs in einem frühen und damit heilbaren Stadium zu entdecken.

Anders sieht es etwa bei Magenkrebs aus. Hier sind mittlerweile zwar zwei erbliche Gen-Mutationen bekannt, doch ein vorsorgliches Screening wie beim Darmkrebs gibt es nicht. Den Patienten mit einer nachgewiesenen Mutation bleibt zur Vorsorge lediglich die Entfernung des kompletten Magens. Ein weiteres Dilemma: Für Magenkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs existiere so gut wie keine öffentliche Wahrnehmung. „Daher werden diese Krebserkrankungen häufig zu spät entdeckt.“, sagt Daum.

Dabei kann ein Blick in den Familienstammbaum prinzipiell für jeden sinnvoll sein. Denn bei fast jeder erblichen Krebserkrankung gilt: Treten in der Familie gehäuft Fälle einer bestimmten Krebserkrankung auf oder erkrankt ein Verwandter ersten Grades unter dem 50. Lebensjahr, ist besondere Wachsamkeit geboten, so die Krebsexperten. Wer eine derartige Auffälligkeit in der Familie feststellt, sollte das mit seinem Arzt besprechen. Bei ernsthaftem Verdacht helfen genetische Beratungsstellen weiter. „Wer sich auf sein persönliches Krebsrisiko testen lassen will, muss allerdings strenge, international gültige Kriterien der familiären Belastung mit Tumorerkrankungen erfüllen, damit die Kassen den Test auch bezahlen“, sagte Genetikerin Denise Horn. Die bloße Sorge allein reiche nicht.

Beratung bei Brust- und Eierstockkrebs:
Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs Berlin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Telefon: (0 30) 4 50 56 42 72

Beratung bei Dickdarmkrebs:
Institut für medizinische Genetik
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Telefon: (0 30) 4 50 56 91 32

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