Neuroendokrine Tumoren – kurz NETs – entstehen aus neuroendokrinen Zellen, die bestimmte Botenstoffe (Peptide und Hormone) produzieren. Der überwiegende Teil dieser heterogenen Gruppe von Tumoren tritt im Magen-Darm-Trakt auf. Ärzte unterscheiden zwischen den gut differenzierten NETs, die eine sehr gute Prognose haben, und den schlecht differenzierten mit einer eher ungünstigen Prognose. Dazwischen liegt eine enorme Bandbreite von Tumoren, deren Verlauf oft sehr schwer vorhersehbar ist. Daher besteht großes klinisches Interesse an Markern im Blut von Patienten, die prognostische Informationen zum weiteren Krankheitsverlauf liefern.
In einer von der Berliner Krebsgesellschaft geförderten Forschungsarbeit ist es einem Team um den Krebsforscher Dr. med. Christian Fischer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gatroenterologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin und Leiter einer Forschungsgruppe am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), gelungen, einen Prognosefaktor zu identifizieren. Dabei handelt es sich um den krankheitsspezifischen Wachstumsfaktor PlGF, einem Verwandten des Wachstumsfaktors VEGF. Anhand der Bestimmung von PlGF in unterschiedlichen Patientenkollektiven konnten die Forscher zeigen, dass ein hoher PlGF-Spiegel im Blut mit einer schlechteren Prognose einhergeht. So hatten Patienten mit NETs der Bauchspeicheldrüse eine deutlich kürzere Überlebenszeit, wenn ihr PlGF-Wert im Blut pathologisch erhöht war. Bei Patienten mit NETs im Dünndarm korrelierte ein hoher PlGF-Wert mit einem schnelleren Fortschreiten der Erkrankung, sprich einer kürzeren progressionsfreien Zeit.
Dieser Befund gilt mittlerweile als gesichert, dennoch bedarf es weiterer Untersuchungen, bis der Prognosefaktor Einzug in die klinische Routine hält. Künftig soll der prognostische Marker unter anderem dabei helfen, Therapieentscheidungen zu treffen, also die Therapie entsprechend der Aggressivität und Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors anzupassen.
Von dem Biomarker PlGF erhoffen sich die Wissenschaftler aber noch mehr. Der Wachstumsfaktor könnte nämlich auch ein Angriffspunkt für zielgerichtete Therapien sein. In ersten experimentellen Ansätzen konnte das Forscherteam um Dr. Fischer bereits zeigen, dass sich durch die Gabe von blockierenden Antikörpern das Tumorwachstum verlangsamt. Weitere Experimente sollen Gewissheit bringen, ob sich dieser viel versprechende Befund bestätigt.
Und noch einer Spur gehen die Forscher nach: PlGF – so die Vermutung – könnte auch ein prädiktiver Biomarker für das Therapieansprechen sein. Derzeit ist zum Beispiel völlig unklar, welche Patienten auf die beiden Wirkstoffe Everolimus und Sunitinib ansprechen, die seit 2011 bzw. Ende 2010 zur Behandlung der pankreatischen NETs zugelassen sind. Daten deuten bereits darauf hin, dass sich der PlGF-Spiegel ändert, wenn ein Medikament wirkt. Daher beginnen die Forscher jetzt, bei entsprechend behandelten Patienten den PlGF-Spiegel zu messen. Durch diese Analyse wird man sehen, wie sich PIGF unter der Therapie verändert und welchen Einfluss dies auf den Krankheitsverlauf hat. Gleichzeitig könnten diese Untersuchungen auch Aufschluss geben, ob der Wachstumsfaktor PlGF möglicherweise im Zusammenhang mit einer Resistenzentwicklung gegenüber den beiden neuen Wirkstoffen steht. Mit Everolimus und Sunitinib blockiert man bestimmte Signalwege. Allerdings gibt es Hinweise, dass sich der Tumor über PlGF sozusagen einen Ausweg sucht und die Medikamente deshalb nach einer gewissen Zeit nicht mehr wirken. Auch diesen Hinweisen wollen die Forscher nachgehen.
Stand: August 2013